100 Jahre Schulpsychologie – Buko 2021

Aus dem Vorstand:

Der gelungene Online-Bundeskongress Schulpsychologie vom 20.09 – 24.09.2021 endete mit einem Symposion „100 Jahre Schulpsychologie“.

Einige zentrale Aspekte aus diesem Symposion:

Lothar Hellfrisch, ehemaliger Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik und Schulpsychologe für die allgemeinbildenden Schulen in der Stadt Würzburg (1975-1988), Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie im BDP (1981-1987) sowie Präsident des BDP (1990-2001), stellte heraus, dass in den Anfängen der Schulpsychologie der Therapiegedanke und damit verbunden die therapeutische Grundauffassung für die Zielgruppe Schülerinnen und Schüler eine zentrale Rolle spielte. Mit Methoden aus der Gesprächspsychotherapie und der Verhaltenstherapie sollte die Schulpsychologie die Anliegen und Probleme der Schülerinnen aufgreifen und den Lösungsweg unterstützen. Im Fokus war der Versorgungsaspekt.

Ein bedeutsamer Impuls für die Weiterentwicklung der Schulpsychologie ging von Helmut Heyse aus, Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie 1976/1977 und von 1987 bis 1994. Helmut Heyse war von 1970 bis 2001 Referatsleiter für den Schulpsychologischen Dienst bei der Bezirksregierung Trier. Von 2001 bis 2004 baute er im Auftrag des Kultusministeriums Rheinland-Pfalz das Projekt Lehrergesundheit auf und leitete dieses. Er hat zahlreiche Schriften zum Thema Lehrerinnen- und Lehrergesundheit veröffentlicht.

Der von ihm propagierte Paradigmenwechsel lenkte den Fokus der schulpsychologischen Tätigkeit auf das Lehrpersonal. Die Schulpsychologie sollte sich vom Anwalt des Kindes zum Anwalt einer guten Schule entwickeln. Die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern durch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen würden weder Lehrkräfte noch die Administration dazu bringen, eine größere schulpsychologische Versorgung einzufordern. Daher sollte sich die Schulpsychologie aus der Schülerhilfe (gemeint ist die Einzelfallhilfe) weitgehend zurückziehen Auf seinen Einfluss gehen bundesweit die Projekte Lehrergesundheit und der systemische Blick auf die Organisation Schule zurück.

Stefan Drewes, 2006-2016 Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie im BDP, hob den Gedanken der niedrigschwelligen Dienstleistung sowie der Systemberatung (auch für das System Familie) hervor. Die Schulpsychologie solle die Daseinsvorsorge für Bürger im Bereich der Bildung aufgreifen. Konkrete Unterstützung für Eltern und Schülerinnen und Schüler in Bedürfnislagen und Nöten. Bedeutsam weiterhin sei ein proaktives Zugehen auf die Bedürfnisse der Schulen vor Ort in den jeweiligen Arbeitsfeldern. Auch ein zielgerichtetes Zugehen auf die Bildungsverwaltungen und die Ministerien gehöre dazu. Die Schulpsychologie müsse künftig sichtbarer werden und handfeste Hilfen für Schulen anbieten. In diesem Segment stehe sie in Konkurrenz zur Schulsozialarbeit.

Seit 2017 ist Stefan Drewes Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung in Düsseldorf.

Prof. Dr. Detlef Berg, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt (1980-2008) stellte die Vorteile einer organisationsinternen Verankerung der Schulpsychologie heraus, wie dies in Bayern der Fall ist. Als brennendes aktuelles und künftiges Thema für die Schulpsychologie griff Detlef Berg den Umgang von jungen Menschen mit ihrem Körper auf. Auch die Frage der Geschlechtsumwandlungen nannte Detlef Berg in seinen Ausführungen.

Alexandra Ubben, schulpsychologische Dezernentin im Landkreis Aurich in Niedersachsen, sieht die künftige Position der Schulpsychologie in einer Position auf der Metaebene. Zu den Einrichtungen der Schulsozialarbeit und der Sonderpädagogik sehe sie daher keine Konkurrenz. Diese werden als erste Ansprechpartner an Schulen aktiv, da sie bessere Zugänge zu den Eltern hätten. Ein zentrales aktuelles Thema stelle die Multiprofessionalität dar. Gefragt sei die Schulpsychologie bei den Schulleitungen, wenn es um differentielle psychologische Fragestellungen, koordinierende Tätigkeiten und um systemische Zusammenhänge gehe. Die Schulpsychologie müsse in diesem Zusammenhang selbstbewusst nach vorne gehen und ihren Mehrwert für die Schulen verdeutlichen.

Welche Konsequenzen für die Schulpsychologie und insbesondere für Bayern können aus den Ausführungen der Teilnehmer*innen des Symposions gezogen und abgleitet werden?

Die Schulpsychologie muss Ihre Wirkung in der multiprofessionellen Zusammenarbeit entfalten. Dazu ist eine klare Segmentierung der Aufgaben in pädagogische und psychologische Tätigkeitsfelder vonnöten. In den Richtlinien zur Schulpsychologie müssen die psychologischen Propria im Sinne einer Profilbildung klar benannt und in den Stellenkegeln des Staatshaushaltes mit psychologischen Amts- und Funktionsbezeichnungen ausgewiesen werden.

Die Schulpsychologie muss an den einzelnen Schulen vermehrt ihr Gesicht zeigen, im Beratungssetting, bei schulhausinternen Fortbildungen und in regelmäßigen formalen und informellen Kontakten zu den Schulleitungen. Der Aufbau einer Gehstruktur ist vonnöten

Das Kongressmotto des BUKO 2021 „Mehr Psychologie in die Schulen“ gibt die Richtung und den Takt für die künftige Positionierung der Schulpsychologie im System Schule vor. Aufgrund des bayerischen Wegs ist die Schulpsychologie im Vergleich zu anderen Bundesländern vor Ort gewinnbringend aufgestellt. Nachholbedarf kann in der Verankerung von Schulpsycholog*innen in der Dienststruktur angemeldet werden, nicht nur im Kultusministerium, sondern in allen Schularten auf allen Ebenen der Administration. Schulpsycholog*innen können auch in Bayern im Bereich von Alpha-Aufgaben eingesetzt werden, u.a. in der dienstlichen Beurteilung von Schulpsycholog*innen.

Die Schulpsychologie hat sich im Laufe ihrer Entwicklung spezialisiert und ausdifferenziert. Sie bedient inzwischen im Kontext Schule die klassischen Ausrichtungen der akademischen Psychologie: klinische Psychologie, pädagogische Psychologie und die Arbeits- und Organisationspsychologie. Die Schulpsycholog*innen in Bayern sind aufgrund ihres Studiums der Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt grundlegend für diese Tätigkeiten qualifiziert. Eine spätere berufsbezogene, aber auch berufstemporäre Schwerpunktsetzung scheint zielführend. Ein Generalistentum ist nur noch zeitverzögert umsetzbar, die unterschiedlichen Kompetenzen einer Person entwickeln sich in einem berufsbiografischen Laufbahnmodell.

Last but not least.

Die Beteiligung von bayerischen Schulpsycholog*innen am virtuellen BUKO 2021 hielt sich stark in Grenzen. Dafür kann es sicherlich im viele Gründe geben: der zeitnahe Beginn des Schuljahres 2021/22, das ungewohnte Format, die Teilnahmegebühr von 200,00 € oder auch eine gewisse Fortbildungssättigung durch lokale, regionale und überregionale Angebote.

Möglicherweise ging der bayerischen Schulpsychologie inzwischen der Blick über den Zaun verloren. Der BUKO 2021 hat gezeigt, dass die bayerische Schulpsychologie derzeit die relevanten psychologischen Felder in der Schule vergleichbar gut abdeckt. Meinem Eindruck nach setzen aber andere Bundesländer im Bereich der Qualitätsentwicklung und Wissenschaftsorientierung weitaus stärkere Akzente. Das mag auch auf die universitäre Ausbildung der Schulpsychologen außerhalb von Bayern – Studiengang Psychologie mit dem Abschluss Master Sc. – zurückzuführen sein, die sich von der universitären Aufstellung der Schulpsychologie in Bayern (Studiengang Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt [nur an der KU Eichstätt Abschluss auf Bachelor-Niveau]) unterscheidet. In diesem Zusammenhang muss für die Vorbereitungsphase des 2. Staatsexamens in Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt deutlicher Handlungsdruck angemeldet werden.

Es bleiben rätselhaft offene Fragen. Rätselhaft in diesem Kontext ist auch die Tatsache, dass die schriftliche Bitte des BUKO-Veranstalters um Ankündigung des BUKO 2021 in FIBS von der ALP nicht beantwortet wurde.

Hans-J. Röthlein (jroethlein@lbsp.de )

 

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