Rezension

Dr. Ursula Killi & Hans-Joachim Röthlein (Hrsg.). Handlungsfeld Schulpsychologie. Kulmbach: Mediengruppe Oberfranken GmbH & Co. KG. Sonderausgabe 2022 zum Handbuch der Schulberatung

Rezension: Ingo Hertzstell

Erster Eindruck

Das schmale Werk ist offensichtlich ein Versuch, wesentliche Aspekte der aktuellen Schulpsychologie in kompakter Form darzustellen. Es fällt auf, dass die eher theoretischen Ausführungen regelmäßig und durchaus kritisch mit der bayerischen Schulpsychologie verknüpft werden, in der die beiden Herausgeber tätig sind bzw. waren. Statt einer Auflistung schulpsychologischer Aufgabenbereiche werden drei Beispiele aus der Praxis ausführlich und reflektiert vorgestellt. Insgesamt wird Schulpsychologie als eine sich stetig verändernde Institution gesehen.

Ziele der Herausgeber

In Vorwort, Einleitung und auf der vierten Umschlagseite werden folgende Ziele formuliert: „erste Überlegungen“ für eine „aktuelle Antwort auf die […] Frage: „Schulpsychologie – quo vadis?““ (S. 5); das Werk will „genuine berufliche Handlungsfelder beleuchten und klassifizieren und dazu gehörende Handlungswerkzeuge vorstellen.“ (S. 6); „Beitrag zur Klärung der schulpsychologischen Professionalität“ (Umschlag S. 4) und „gewinnbringende Einsicht in das Handlungsfeld Schulpsychologie“ (ebd.).

Darstellung

Der Text, dem ein Vorwort und eine Einleitung vorangestellt sind, gliedert sich in vier Teile: „Teil I: Grundlegende Überlegungen“, „Teil II: Der Tätigkeitsbegriff psychologisch definiert“, „Teil III: Psychologische Interventionen“ und „Teil IV: Praxisbeispiele“.

Werden im Vorwort zum einen die Verortung im bayerischen Schulsystem und zum anderen die erforderliche Anpassungsfähigkeit der Schulpsychologie an Veränderungen – widergespiegelt in der Bedeutung von future skills – zum Ausdruck gebracht, werden in der Einleitung die Begriffe Handlung und Tätigkeit differenziert sowie die Anliegen in den theoretischen Teilen skizziert.

Im Teil I (Autor: Röthlein) werden zunächst im Sinne einer phänomenologischen Herangehensweise das Selbstverständnis der Schulpsychologie als Teilgebiet der Psychologie und als Querschnittswissenschaft, die zentralen Aufgaben von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen In verschiedenen Quellen und aktuelle Entwicklungen in der Schulpsychologie dargestellt. Es schließt sich eine Einteilung der schulpsychologischen Handlungsfelder auf fünf Ebenen an: die grundsätzliche Ausrichtung auf Schülerinnen und Schüler, aber auch auf Lehrpersonal und Führungskräfte; Einzelpersonen und Gruppen als Adressaten; die Wirkfelder wie schulische Bildung, Institutionalisierung oder Vernetzung; die Wirkbereiche mit verschiedenen Aspekten der Prävention; die diversen schulpsychologischen Tätigkeiten. – Jede dieser fünf Ebenen wird ausführlich in ihrer Bedeutung und mit Konsequenzen für die bayerische Schulpsychologie diskutiert.

Ausgehend von den berufsspezifischen Handlungen soll im Teil II (Autor: Röthlein) das Profil der Schulpsychologie geschärft werden. Dazu greift der Autor auf den psychologischen Tätigkeitsbegriff des russischen Psychologen A. N. Leontjew zurück und zeigt die aktuelle Bedeutung auf. Das Konzept von Leontjew umfasst drei Ebenen: Tätigkeitsebene, Ebene der Handlungen, Ebene der Operationen, mit deren Darstellung die Bedürfnisse und mögliche Aufgabenverteilungen – Stichwort berufsspezifische Propria – in multiprofessionellen Teams verdeutlicht werden. – Es schließt sich eine kritische Diskussion für die bayerische Schulpsychologie an, gipfelnd in der Frage „Welche Profession ist in welchem schulischen Arbeitsfeld für welche Tätigkeiten aufgrund ihrer Fachlichkeit originär zuständig?“ und in der Sorge, dass die schulpsychologischen Arbeitsbedingungen „qualitativ und quantitativ zu inneren Distanzierungsprozessen von der schulpsychologischen Tätigkeit führen“ können (S. 27).

Im Teil III (Autor: Röthlein) werden nach einer kurzen Erläuterung des Begriffs Intervention und einem verdeutlichenden Schaubild die psychologischen Interventionen Diagnostik und Beratung aufgeführt, bevor auf schulpsychologische Handlungstools eingegangen wird. Zu diesen zählen übergreifende präventive Maßnahmen wie Gruppenmaßnahmen zur Förderung von Lern- und Arbeitsmethoden oder Abhilfe bei Lese- und Rechtschreibschwäche oder auch Supervision und Coaching, die von mehreren Berufsgruppen praktiziert werden. Weiterhin werden spezialisierte präventive psychologische Interventionen, orientiert an den Merkmalen „Erhaltung/Ausschöpfung der Lern- und Leistungspotenziale sowie die Stabilisierung der psychischen Gesundheit“ (S. 34), angeführt. Unterschieden wird zwischen Einzelinterventionen etwa zur Reduktion von individuellen Belastungen durch Stabilisierungstechniken und gruppenbezogenen Interventionen im Sinne der Psychoedukation etwa im Lern- und Leistungskontext und zur Stressbewältigung. Ein dritter Punkt ist die spezialisierte universelle psychologische Intervention etwa im Zusammenhang mit der Prävention von Depression und Angststörungen in der Schule. – In der abschließenden Diskussion für die bayerische Schulpsychologie wird auf Möglichkeiten hingewiesen, „den Nutzen der Schulpsychologie für die Organisation Schule“ (S. 39) zu erhöhen, zumal durch die Ausweitung der schulpsychologischen Tätigkeit im Präventionsbereich, gekennzeichnet durch den Begriff „schulpsychologische Präventivbehandlung als ein Proprium schulpsychologischer Tätigkeit“ (S. 40).

Die Praxisbeispiele im Teil IV verknüpfen „bekannte Methoden im schulpsychologischen Tätigkeitsrepertoire mit neuropsychologischer Blickrichtung“ (S. 5). Begonnen wird mit einem typischen Fallbeispiel für eine Coaching-Sitzung, eine schwierige Situation für eine Schulleiterin, veranschaulicht durch eine figurale Aufstellung, durch Kommentare und Auswertung und die Einbeziehung neurobiologischer Aspekte.

Im zweiten Beispiel wird die Stressbewältigung durch Bewegung und Körperbewusstsein dargestellt. Ziel ist es, den Kopf wieder mit dem Körper zu verbinden. Dazu wird auf eine Online-Toolbox „Vom Kopf in den Körper und zurück“ mit Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Atem-Übungen verwiesen, die auch im Schulalltag eingesetzt werden können. Diesem quasi praxisorientierten Teil gehen theoretische Ausführungen zum Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus, die Bedeutung von Atmung und Vagusnerv für die Stressregulation, ein Abriss der Polyvagal-Theorie und ihre Bedeutung für die Schulberatung voraus.

Das dritte Beispiel „Bewegung „heilt““ zeigt den Verlauf einer Beratung einer älteren Lehrerin nach einer Auseinandersetzung mit dem Schulleiter. Im Verlauf der Beratung wird die Methode des „guided walking“ beschrieben und eingesetzt. Auswertung, Bedingungen des Gelingens sowie die Bewertung der Methode aufgrund bisheriger Erfahrungen und die Betrachtung des möglichen Wirkmechanismus runden die Darstellung ab. In der Nachbetrachtung lädt der Autor zu einem Austausch interessierter potenzieller Anwender ein.

Bewertung

Das Buch vermittelt einen Einblick in Theorie und Praxis professionellen schulpsychologischen Handelns und den Stellenwert der Schulpsychologie in Bayern.

Den Herausgebern ist eine übersichtliche, kompakte, wissenschaftlich orientierte Darstellung des schulpsychologischen Handlungsfeldes gelungen. In den ersten drei Teilen wird von Röthlein ein begrifflicher Rahmen gespannt, der die Einordnung psychologischer Tätigkeit und schulpsychologischen Handelns im System Schule ermöglicht und den Wert der Schulpsychologie für das System Schule speziell in Bayern deutlich werden lässt. Die Diskussion der theoretischen Überlegungen mit Blick auf die bayerische Schulpsychologie ist eine wesentliche Stärke des Buches.

Im vierten Teil gewähren drei Beispiele aus der Praxis, die Vorgehensweisen und Lösungen für bestimmte Situationen im schulischen Alltag aufzeigen, einen Einblick in explizite wie implizite Erwartungen an schulpsychologische Beratung und Intervention. Auf schülerspezifische Themen – Diagnostik, Lernen, Verhalten – wird nicht eingegangen.

Insgesamt werden die selbstgesetzten Ziele weitgehend erreicht, doch bleibt mit Blick auf den Wandel in Gesellschaft und Bildungssystem die Frage „Schulpsychologie – quo vadis?“ für weitere Überlegungen offen. Das lässt sich auch als Anstoß für mehr Diskussionen im schulpsychologischen, schulischen wie öffentlichen Raum interpretieren.

Was fehlt, sind Literaturangaben zu Theorie und Konzept von Leontjew, auf dem doch wesentliche theoretische Überlegungen von Röthlein fußen. Für Leserinnen und Leser, die sich intensiver mit dem Thema Schulpsychologie auseinandersetzen wollen, wäre ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur hilfreich.

Zielgruppen

Das Buch ist in erster Linie für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen gedacht, aber auch geeignet für inner- wie außerschulische Fachkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bildungssystem und weitere interessierte Personen, die sich bereits dem Thema Schulpsychologie angenähert haben und auch für theoretische Überlegungen offen sind.

Fazit

Das vorliegende Buch zeigt, dass das Handlungsfeld Schulpsychologie viele Aspekte und Facetten hat – sowohl professionsintern als auch im Kontext mit kooperierenden Professionen wie Pädagogik und Sozialpädagogik. Als Autor trägt Röthlein dem Rechnung, schärft damit bei Schulpsychologinnen und Schulpsychologen das Bewusstsein für die Thematik und regt so eine vertiefte Diskussion vor allem in den schulpsychologischen Verbänden, aber auch bei den Bildungsverantwortlichen an.

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