Handbuch Schulpsychologie. Eine Rezension von Ingo Hertzstell

Seifried/Drewes/Hasselborn (Hrsg.). Handbuch Schulpsychologie. Psychologie für die Schule. Stuttgart: Kohlhammer, 3., überarbeitete Auflage 2021

Erster Eindruck

Das „Handbuch Schulpsychologie. Psychologie für die Schule“ in der 3. Aufl. kommt mit mehr als 400 Seiten schwer-gewichtig daher. Das erscheint notwendig und gerechtfertigt, denn die Darstellung schulpsychologischer Themen und Aufgaben ist umfassend. Die Herausgeber haben fleißig Artikel gesammelt und zusammengestellt, die zugleich theoriebezogen und praxisorientiert sind und einen gediegenen Überblick über die aktuelle Schulpsychologie in Deutschland ermöglichen. 

Darstellung

Die drei Herausgeber verfügen über profunde Kenntnisse der Schulpsychologie. Klaus Seifried und Stefan Drewes haben lange Jahre schulpsychologische Beratungszentren geleitet, der eine in Berlin, der andere in Düsseldorf. Professor Dr. Marcus Hasselhorn leitet die Arbeitseinheit „Bildung und Entwicklung“ am DIPF/Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt/Main; seine Themen sind u. a. Lernstörungen, pädagogisch-psychologische Diagnostik und vielfältige Bildungsfragen.

Beruflicher Hintergrund und berufliche Expertise ermöglichten es den Herausgebern, einen kritischen Blick auf die 2. Aufl. (2016) zu werfen und das Handbuch erneut zu überarbeiten, zu aktualisieren und zu ergänzen. Im Vorwort wird ihr Anliegen deutlich: „Erkenntnisse und Erfahrungen aus der schulpsychologischen Praxis“ vorzustellen, wovon sie sich „Anstöße zu einer stärkeren Zusammenarbeit und Verknüpfung von Praxis und Forschung“ erhoffen (S. 9).

Die mehr als 50 Autorinnen und Autoren kommen zum Teil aus der (schul-)psychologischen Praxis, zum Teil sind sie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter an Hochschulinstituten oder Hochschullehrerinnen oder Hochschullehrer. Die Herausgeber sehen sie als „ausgewiesene Fachleute aus Wissenschaft und Praxis“ (S. 9).

Der Inhalt gliedert sich in drei Teile: Teil I Grundlagen, Teil II Fokus Schülerinnen und Schüler, Teil III Fokus Lehrkräfte und System Schule. In gewisser Weise spiegelt der Aufbau auch die Entwicklung der schulpsychologischen Aufgaben: Schüler > Lehrkräfte > System Schule.

Teil 1 enthält u. a. Artikel von der Geschichte der Schulpsychologie in Deutschland über das wissenschaftliche Selbstverständnis schulpsychologischen Handelns, Aufgaben und Organisationsformen, Kooperation und Vernetzung, Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung bis zu Rechtsfragen. Der letzte Artikel wirft einen Blick auf die „Schulpsychologie international“.

Der zweite Teil des Handbuchs umfasst 16 Artikel, die ganz wesentlich die schulpsychologische Arbeit mit Schülerinnen und Schülern behandeln. Relativ breiten Raum nehmen verschiedene Aspekte der Diagnostik ein, ebenso Aspekte der Förderbedarfe. Neben der klassischen Lese-Rechtschreibstörung und Rechenschwäche und Dyskalkulie wird auch auf Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen eingegangen, gibt es Artikel zu Bewertungs- und Prüfungsängsten, Mobbing, Absentismus, Mädchen und Jungen sowie zur schulpsychologischen Beratung im interkulturellen Kontext.

Die Artikel in diesem Teil lassen überwiegend einen Aufbau erkennen: Thema bzw. Aufgabe, Diagnose, Interpretation, Handlungsmöglichkeiten, Fazit bzw. Ausblick und Literaturangaben, zum Teil anhand von Beispielen aus der Praxis veranschaulicht und erläutert, was das schulpsychologische Handeln transparent werden lässt. Die Länge der Artikel – im Durchschnitt ca. 10 Seiten – ermöglicht ein rasches Einlesen in ein Thema, eine rasche Orientierung auch für interessierte Personen, die nicht vom Fach sind.

Der dritte Teil ist den Lehrkräften und dem System Schule gewidmet. So geht es in neun Artikeln u. a. um inklusive Schule, Unterrichtsqualität, Differenzierung im Unterricht, Lehren und Lernen mit digitalen Medien (dieser Artikel resultiert aus der Notwendigkeit der Schulen, auf Covid 19 zu reagieren), Schul- und Klassenklima, Gewaltprävention und Krisenmanagement, in den nächsten drei Artikeln um die Lehrerpersönlichkeit, die psychische Gesundheit von Lehrkräften sowie Supervision und Coaching, im letzten Artikel schließlich um Kommunikation als Führungsaufgabe für Schulleitungen.

Auch die Artikel dieses Teils zeigen einen ähnlichen Aufbau: eine Hinführung zum Thema, diverse Aspekte, Beispiele, lösungsorientierte Schlussfolgerungen, Literaturangeben. Immer wieder werden auch Forschungsergebnisse herangezogen, aus denen Handlungsmöglichkeiten abgeleitet werden.

Im Anhang findet sich ein Überblick über Schulpsychologenverbände, ein vierseitiges Stichwortverzeichnis, mit dem das Handbuch quasi zum Lexikon der Schulpsychologie wird, und ein fast fünfseitiges Verzeichnis mit Angaben zu den Autorinnen und Autoren.

Bewertung

Das Handbuch enthält eine Vielzahl von wertvollen Informationen zum aktuellen Stand der Schulpsychologie in Deutschland. Die Darstellung der schulpsychologischen Entwicklung und der derzeit wichtigsten Arbeitsfelder ist recht umfassend und bietet damit eine gute und für den, der sich mit dem Buch vertraut macht, auch eine rasche Orientierung. In etlichen Artikeln werden weitere Arbeitsbereiche (z. B. die Arbeit mit Eltern oder die Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen bei bestimmten Themen) angesprochen, die auch einen eigenen Artikel verdient hätten, was aber den Rahmen des Handbuchs gesprengt hätte.

Erfreulich ist die Verknüpfung von Wissenschaft / Forschung mit der schulpsychologischen Praxis. In etlichen Artikeln werden ausdrücklich Aufgabe und Rolle der Schulpsychologie hervorgehoben. Dabei machen die Autorinnen und Autoren wiederholt deutlich, dass die Themen nicht abgeschlossen sind, dass weitere Erkenntnisse der Forschung die schulpsychologische Arbeit bereichern und effizienter machen. Das impliziert die Notwendigkeit für alle Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, sich stetig weiterzubilden, um den aktuellen Erkenntnisstand in ihre Arbeit zu integrieren.

Zielgruppen

Das „Handbuch Schulpsychologie“ kann allen an der Schulpsychologie interessierten Personen als Informationsquelle dienen.

Es eignet sich quasi als Nachschlagewerk nicht nur für aktive Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, sondern auch für Studierende der Psychologie (Bayern: Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt), der Pädagogik oder des Lehramts, die einen Blick auf die schulpsychologischen Handlungsfelder werfen wollen. Ferner vermittelt es Schulleitungen und Lehrkräften sowie weiteren Personen im Umkreis der Schule wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, des schulärztlichen Dienstes oder der Schulsozialpädagogik Einblicke in und Verständnis für psychologisches Handeln im Kontext Schule, zeigt Möglichkeiten der Unterstützung auf.

Profitieren können mit Sicherheit auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kooperierender Einrichtungen. Die Erkenntnisse, die aus dem Handbuch gewonnen werden, können wesentlich zum Gelingen eines Kooperationsprojektes beitragen.

Nicht zuletzt informiert es interessierte Eltern und Erziehungberechtigte, welche Funktion die Schulpsychologie haben kann, wenn Schülerinnen und Schüler Unterstützung brauchen.

Fazit

Das vorliegende Handbuch ist ein hervorragender Überblick über die aktuelle Schulpsychologie und kann als wertvoller Informationsfundus guten Gewissens empfohlen werden – als Standardwerk nicht nur für schulpsychologische Beratungsstellen, sondern auch für Lehrer- und Schulbibliotheken, Institutsbibliotheken oder Bibliotheken kooperierender Einrichtungen.

Ingo Hertzstell (ingo.hertzstell@lbsp.de )

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